17. Februar 2008

Cloverfield (de)

Category: Film — Patrick @ 11:06

CloverfieldCloverfield ist ein schwieriger Film: schwierig anzusehen und noch schwieriger zu rezensieren.
Ich will die Karten gleich offen auf den Tisch legen: Über den Inhalt kann und will ich nichts sagen - da ist einfach gar nichts. Und das liegt bestimmt nicht daran, dass ich die ersten fünf Minuten verpasst habe. Und es liegt auch nicht daran, dass andauernd jemand den Saal unsicher machte, um nach seiner vergessenen Tasche zu suchen… Aber nun zum Film:

Eine stereotype Abschiedsparty, den Angriff eines urgewaltigen Monsters auf New York, den Kampf ums überleben, die Vernichtung Manhattans - wir erleben den gesamten Film aus Sicht des einfach gestrickten Hud, der seine Videokamera nur zum sterben aus der Hand legt: Handycam-Realismus pur.
Das Fehlen jedweder Filmmusik tut das übrige. Zwar hört man im ersten Teil des Films Musik, aber das ist kein Filmsoundtrack, sondern die Musik, die man eben auf einer ausgelassenen Abschiedparty hört. Sobald Hud mit der Kamera die Party verlässt, hört man nur noch Stille und Geräusche im Hintergrund. Die Wirkung ist entsprechend eigenartig. Da man es gewohnt ist, Filmmusik (zumindest die richtig gute) während des Films nicht bewusst als Musik, sondern unterbewusst als Gefühl und Stimmung wahrzunehmen, merkt man lange Zeit nicht, dass sie hier fehlt.

Die Bildwirkung des Films ist übrigens schlichtweg genial. Lange Zeit sieht man genug, um zu ahnen, aber zu wenig, um zu wissen, was eigentlich passiert. Bedingt durch das Genre werden dabei natürlich alle Regeln zu Bildausschnitt, Kamerausrichtung, Zoom- und Fokus-Eskapaden, usw. permanent gebrochen. Das geschieht aber nicht plump, sondern überaus wirkungsvoll.

Leider, leider nimmt der Film es allerdings mit der Realität nicht ganz so genau. Damit meine ich natürlich nicht das Auftreten abstruser Monster, Killerparasiten und dergleichen. Damit kann ich unter der Prämisse eines Films sehr gut leben. Womit ich aber beispielsweise nicht leben kann, sind voll aufgeladene Handyakkus in Elektrogeschäften. Die Dinger werden (schon aus Gründen der Selbstentladung) leer verkauft. Jeder der seinen frisch erworbenen Laptop, MP3-Player oder das neue Handy erst mal sechzehn Stunden ans Netz hängen musste, weiß wovon ich rede. Doch wenn die Welt untergeht, der Handyakku gerade leer ist, man aber mit der Freundin telefonieren muss, sind plötzlich volle Akkus im Laden zu haben - leider nein.

Bevor ich mich aber in noch mehr Müll ergehe, zum Abschluss noch ein paar Gedanken (na gut, sagt ruhig “Müll”) zum “Handycam-Realismus” (heißt das überhaupt so; gibt’s überhaupt ein Wort dafür?):

  • Traurig aber wahr, Handycam-Realismus kann nicht funktionieren. Schon deswegen nicht, weil er per se jedes Realismus entbehrt. Wäre die Videokamera nicht das erste, was man auf der Flucht vor einem Monster, im Kampf um Leben oder Tod wegwirft? Selbst wenn nicht, würde man wirklich wertvolle Sekunden opfern und sich umdrehen, um zu filmen dokumentieren. Zumindest Feiglinge Leute mit gesundem Menschenverstand würden so handeln. Man kann jetzt natürlich argumentieren (wie es im Film auch geschieht), in solchen Extremsituationen würden selbst einfache Typen zu echten Helden. Doch ist das so?
  • Ungemütlich aber wahr, Handycam-Realismus funktioniert. Die zitternden, wackelnden, schiefen Bilder wirken authentisch; verstören durch die ständige Bewegung, die Spontaneität, die (scheinbar) fehlende Komposition. Alles erscheint realer und greifbarer, so als könnte es Dir und mir wirklich passiert sein. Dennoch bleibt man man reiner Beobachter. Anders als bei einem guten Horror/Psycho-Thriller wird man nicht in die Handlung hineingesogen, sondern betrachtet distanziert eine Art Dokumentation.
  • Erfrischend anders, Handycam-Realismus ist rein deskriptiv. Er zeigt nur den begrenzten Blickwinkel der Gruppe, die die kamera trägt, und kann ausschließlich auf deren Wissen, Meinung und Interpretation zurückgreifen. Das erspart uns pseudo-wissenschaftliche Erklärungen (Godzilla), hochstrategische Taktik (Independence Day), intellektuelles Gesülz (Jurassic Park) und vieles mehr. Die Deutung der Bilder ist allein unserer Phantasie überlassen: das Geschehen wird nicht erklärt, die Zukunft bleibt ungewiss.
  • Wichtig zu wissen, Handycam-Realismus ist Filmkunst (ob das den Produzenten eigentlich bewusst ist?). Das heißt, es muss (und will?) niemandem gefallen. Es ist Ausdruck einer Idee; ein Experiment: Inhalt (es gibt keinen!), Handlung (es gibt keine!) und Dialoge (trivial!) treten vollkommen hinter die Komposition (es scheint keine zu geben, meisterhaft!) zurück. Klar, dass ein solcher Films Werk keine seichte Abendunterhaltung darstellt, sondern schlichtweg anstrengend ist.

Ob mir der Film gefallen gefallen hat? Keine Ahnung - irgendwie sehr gut aber irgendwie auch gar nicht.
Als Kinofilm gebe ich ihm eine satte 5, als Experiment eine überzeugte 2-.

Patrick

Links zum Beitrag:
Cloverfield bei IMDb

1 Kommentar

  1. Das nenne ich mal eine spannende Rezension… Nachdem mir aber schon nach den ersten paar Minuten Blair Witch Project übel wurde (nicht wegen des Inhaltes sondern wegen eben dieser Handycam-“Ästhetik”), spare ich mir Cloverfield aber wohl besser ;o)
     Dennis

    PS: Da ist übrigens noch das “We own the night”-Bild drin ;o)

    Kommentar by Dennis — 17. Februar 2008 @ 12:56

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